Archiv des Autors: Angela Diez

Firmenübergabe: 10 Tipps für Nachfolger, wenn der Senior am Stuhl klebt

Sie wollen das Familienunternehmen übernehmen. Doch der bisherige Firmeninhaber – häufig Vater oder Mutter – treten bei der Regelung der Unternehmensnachfolge immer wieder auf die Bremse. Auf Dauer sehr frustrierend.

Bevor Sie entnervt hinschmeißen oder lauwarme Kompromisse eingehen: probieren Sie folgende Tipps aus.

Tipp 1: Klären Sie, ob die Firma überhaupt übergabefähig ist

Warum ist das so wichtig? Weil darin Auslöser für die Verzögerungen stecken können.

Wenn der abgebende Part das Gefühl hat, seine „Hausaufgaben“ zur Firmenübergabe noch nicht vollständig gemacht zu haben, wird er diese erst noch erledigen wollen. Denn der Senior weiß genau wie Sie: nur wenn alles sicher geklärt und arrangiert ist, ist die Firma zukunftsfähig. Egal, ob es sich um eine Notfallsituation wie Unfall oder plötzlichen Todesfall handelt oder um eine Betriebsübergabe mit langfristiger Planung.

Klären Sie mit folgende Fragen, wie es bei Ihnen mit der Übergabefähigkeit aussieht:

  • Gibt es geregelte Anweisungen für den Notfall? Wurden vom bisherigen Inhaber die passenden Vollmachten erteilt? Wie kommen Sie an notwendige Passwörter? Ist die Vorsorge-Vollmacht fertig?
  • Wurden alle rechtlichen und steuerlichen Probleme einer Betriebsübergabe fachkundig geklärt?
  • Wie ist der Stand der Digitalisierung? Wo werden – sofern noch vorhanden – Akten aufbewahrt? Wie wollen Sie das künftig handhaben? Welche Änderungen sollten noch vom Senior eingeführt werden? Stichwort Akzeptanz bei den Mitarbeitern.
  • Wer sind wichtige Ansprechpartner bei Bank, Steuerberater, Rechtsanwalt, Notar, Lieferanten und wichtigen Kunden? Kennt man Sie dort?
  • Wie sind die Führungsstrukturen im Unternehmen? Hängen die Mitarbeiter sehr am Firmeninhaber/-gründer? Wollen Sie genauso führen oder haben Sie andere Vorstellungen?
  • Was muss modernisiert werden? Gibt es dazu wichtige Vorschläge von Mitarbeitern oder Kunden? Wie wird sich voraussichtlich der Markt entwickeln?
  • Ist der Firmeninhaber wirklich bereit, sich aus dem Unternehmen zurückzuziehen? Oder braucht es weitere Klärungen? Wie ist der geplante Ablauf der Übergabe im Detail?
  • Und genauso elementar: Fühlen Sie sich bereit, das Unternehmen zu übernehmen? Nicht nur fachlich, sondern auch emotional?

Das hier ist nur ein kleiner Ausschnitt an wichtigen Fragen. Gehen Sie die offenen Punkte gemeinsam an, ergreifen Sie jedoch die Initiative – möglichst ohne die Vorwürfe an Ihren Senior wie eine Wand aufzubauen. Sie zeigen damit Interesse an der Firma und dass Sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und: Sie bekommen einen guten Überblick über alles.

Tipp 2: Planen Sie genug Zeit für die Firmenübergabe ein

Wann ist der richtige Moment, die Übergabe zu planen?

Banken sagen dazu, spätestens wenn der Firmeninhaber 55 Jahre alt ist. Schon alleine, weil das Rating eine wichtige Rolle spielt.

Ich sage: für die Notfall-Situation von Beginn an. Und dieses Szenario sollte auch immer wieder überprüft und angepasst werden.

Ab circa 45-50 Jahren – oder entsprechend früher, wenn gesundheitliche Probleme bestehen – sollte sich der Firmeninhaber konkrete Gedanken darüber machen, welches Nachfolgeszenario für das eigenen Unternehmen passt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten. Die Betriebsnachfolge in der eigenen Familie ist nur eine davon.

Wenn endgültig klar ist, wer die Nachfolge antreten wird, braucht es einen Zeitrahmen für den Übergabeprozess.

Vernünftig ist mindestens ein Jahr für die tatsächliche Übergabe – was trotzdem ein sportlicher Plan ist. Besser 3-5 Jahre, wenn es ideal laufen soll. Gerade bei kleinen bis mittleren Firmen, die stark auf den Inhaber fokussiert sind, braucht es im besonderen Maß das Vertrauen der Mitarbeiter, damit die Übergabe gelingt.

In diesem Zeitrahmen können in Ruhe alle Punkte geklärt werden. Die Mitarbeiter sind im Boot. Und Lieferanten und Kunden gehen den Schritt gut mit.

Tipp 3: Trennen Sie Firma und Privat

Zugegeben: das ist in Familienunternehmen schwieriger. Die Rollen verschwimmen.

Vater oder Mutter sind gleichzeitig auch Firmeninhaber. Und Sie sind nicht nur Nachfolger, sondern auch Sohn oder Tochter.

Vielleicht waren Sie sogar in den Jahren vor der Unternehmensübergabe ein weisungsgebundener Angestellter. Dann ändert sich zusätzlich auch die Rolle im Unternehmen.

Wie soll man das alles trennen? Wie soll man verhindern, vor allem in Konfliktsituationen in alte familiäre Muster zu rutschen?

Nehmen Sie das Unternehmen wieder mehr in den Fokus. Weg von der rein persönlichen Ebene. Weg von der familiären Rolle als Sohn oder Tochter. Was würde zum Beispiel ein fremder Geschäftsführer jetzt tun?

Und damit schließt sich direkt der nächste Tipp an:

Tipp 4: Stellen Sie das Wohl der Firma in den Mittelpunkt

Wenn der Senior die Firmenübergabe verzögert, entstehen viele Reibungspunkte. Der Senior will nicht loslassen, der Junior will endlich starten. Dabei gerät eins unter die Räder: Was ist jetzt und konkret das Beste für die Firma?

Haben Sie die Folgen Ihres Handelns in Bezug auf die Firma noch im Blick? Oder verschwimmt das Wohl des Unternehmens hinter den persönlichen Kränkungen?

Wie wirkt sich das, was Sie tun, auf die Mitarbeiter aus? Auf Ihr Standing gegenüber Mitbewerbern, Lieferanten und Kunden?

Überlegen Sie auch langfristig: wohin führt es in 5-10 Jahren, wenn Sie auf Ihrem Punkt bestehen? Wohin führt der Weg des Seniors? Gibt es andere Möglichkeiten, die für das Unternehmen noch besser sein könnten als diese beiden Wege?

Besprechen Sie Ihre Überlegungen mit Ihrem Senior. Bitten Sie Ihren Vater/Ihre Mutter, ebenfalls rein als Unternehmer zu überlegen. Gehen Sie gemeinsam die verschiedenen Optionen mit allen Für und Wider durch.

Tipp 5: Klären Sie, welche gewachsenen Strukturen Ihre Übergabe behindern

Ihr Senior verzögert die Übergabe. Sie sind davon genervt. Manche gehen automatisch davon aus, dass die „Schuld“ daran alleine in der abgebenden Generation liegt.

Doch wie wäre es, wenn auch die Firma als System dazu beiträgt, die Übergabe zu behindern? Ihr Unternehmen ist ein lebender Organismus, in dem sich Strukturen, Regeln – ja, fast schon eine Art unbewusste Gesetze – über die Jahrzehnte gebildet haben. Unter anderem bekannt als „das haben wir schon immer so gemacht“.

Menschen lieben das Vertraute. Es gibt ihnen Sicherheit. Und selbst wenn einige über bestimmte Zustände und Mechanismen schimpfen – verändern lässt es sich doch nicht so leicht.

Natürlich hat der bisherige Firmeninhaber eine Anteil daran. Schließlich war er für einen langen Zeitraum der Chef und hat den Rahmen vorgegeben.

Aber eben nicht nur. Über diesen Rahmen haben sich besonders langjährige Mitarbeiter in etwas Vertrautes eingerichtet. Es ist eine Art Regelwerk entstanden, wie man die Dinge macht. Neue Mitarbeiter werden in diese Systematik „hineingezogen“. Mitarbeiter, für die diese Strukturen nicht passen, verlassen das Unternehmen wieder. Und so erhält sich die individuelle Firmenstruktur immer weiter, baut sich sogar weiter aus – auch ohne aktives Zutun des Seniors.

Schauen Sie genau hin. Nicht auf der persönlichen Ebene: weil der Senior oder Mitarbeiter XY so sind, liegt die Schuld dort und sie müssten sich doch nur ändern. Nein, das ist zu kurz gegriffen. Fragen Sie sich: wo erhält sich das System inzwischen selbst?

Sprechen Sie dann mit dem bisherigen Firmeninhaber: warum ist die jeweilige Struktur oder Arbeitsvorgabe entstanden? Wofür war sie ursprünglich gut?

Und überlegen Sie wieder gemeinsam, ob das noch gültig ist. Wie müsste der betreffende Bereich verändert werden, damit die Firma weiter oder wieder profitiert?

Tipp 6: Lassen Sie die Verantwortung da, wo sie hingehört

Das heißt: kümmern Sie sich um die wesentlichen Dinge. Und verlassen Sie schnellstmöglich sämtliche Alibi-Baustellen, die – wenn Sie ehrlich zu sich sind – nur dazu dienen, Ihren Vater oder Ihre Mutter zu beeindrucken und von sich zu überzeugen.

Nur allzu menschlich. Es wird Ihnen damit allerdings nicht gelingen. Eher im Gegenteil.

Denn das ist ein typisches Verhaltensmuster, das aus der Kindheit stammt. Und häufig dann auftritt, wenn Sie es zum Beispiel schon von früher gewohnt sind, dass man Ihnen nicht zuhört – Sie dagegen aber mit Leistung gesehen werden.

Noch ein paar Beispiele unter vielen, was hinter den Alibi-Baustellen stecken kann: Wenn Sie als Kind um Aufmerksamkeit kämpfen mussten – vielleicht sogar „gegen“ die Firma. Auch wenn Sie früher unauffällig funktioniert haben, um sich Ihren Platz in der Familie „zu erarbeiten“. Oder auch, wenn Sie als Geschwister ungleich behandelt wurden und Sie gefühlt immer wieder Ihren Wert, Ihre Daseinsberechtigung beweisen mussten.

Als reife Unternehmerpersönlichkeit wissen Sie, wo Ihr Engagement wichtig ist. Und wann Sie besser vertrauensvoll an Mitarbeiter oder externe Dienstleister abgeben.

Das ist unternehmerisches Denken. Und wird Ihren Senior viel eher davon überzeugen, dass Sie in der Lage sind, die Firma zu übernehmen.

Tipp 7: Bedürfnisse, Sorgen, Gefühle – nehmen Sie die emotionale Seite Ihrer Eltern ernst

Die eigene Firma endgültig abzugeben ist im Leben eines Unternehmers eine sehr emotionale Angelegenheit. Selbst dann, wenn es nicht zugegeben wird.

Viele Firmeninhaber haben über Jahrzehnte die Verantwortung für das Unternehmen mit sich getragen. Schwierige Zeiten überstanden, Opfer gebracht und Erfolge gefeiert. Waren mutig, innovativ und verlässlich. Sie waren jemand. Und haben oft genug ihren Sinn, ihre Erfüllung darin gefunden.

Und jetzt? Kommt etwas Unbekanntes auf sie zu. Sie müssen all das loslassen. Abschied nehmen.

Haben Ihre Eltern etwas, dass sie außerhalb des Unternehmerseins erfüllt oder wenigstens interessiert? Gibt es neue Aufgaben, auf die sie sich freuen? Oder ist die Veränderung eher wie ein Schwarzes Loch, dass verschlingt, was ihnen bisher wichtig war?

Versetzen Sie sich mal in die Lage Ihres Vaters oder Ihrer Mutter. Wie fühlt sich das an? Welche Gedanken kommen in Ihnen hoch, die Ihnen vielleicht neu sind? Was macht das mit Ihnen? Wie verändert sich Ihr Blick auf die aktuelle Situation?

Wie sieht es mit dem Privatleben aus? Ist Ihr Senior gerne zuhause? Gibt es eine Beziehung, die trägt und einen guten Rahmen für die Veränderungen gibt? Oder ist das Unternehmen vielleicht auch ein Fluchtpunkt und kann deshalb nur schwer aufgegeben werden?

Machen Sie sich Notizen zu Ihren Gedanken. Was ergibt sich daraus?

Tipp 8: Kränkungen von früher – gibt es emotionale Altlasten?

Ob man will oder nicht: ungelöste Situationen und alte Kränkungen sind wie schlafende Hunde – immer da bellen sie genau dann los, wenn man es am wenigsten brauchen kann.

Was hat das damit zu tun, dass der bisherige Firmeninhaber einfach nicht aufhören will?

Das lässt sich so erklären:

Sie streiten immer wieder, aber wirklich um die Sache geht es sehr schnell nicht mehr. Denn es wurde etwas angepikst – z.B. durch Vorwürfe, die gerne mit „Immer …“ oder „Nie …“ oder „Damals…“ beginnen oder wo das zumindest unausgesprochen mitschwingt.

Gerade wenn solche Vorwürfe von den Eltern kommen, gerät man als Sohn oder Tochter schnell in alte Gefühle, in Rechtfertigung und alte Muster. Und häufig schwingt daneben eine alte Kränkung mit.

Wie das?

Kränkungen sind – ganz grob gesagt – die Nicht-Erfüllung von Bedürfnissen.

Wenn nun diese alten Kränkungen in der aktuellen Situation mitschwingen, reagieren Sie nicht mehr als der Erwachsene, der Sie jetzt sind. Ihr ganzes Wissen, Ihre Erfahrung, Ihr Auftreten hat nicht mehr das Gewicht, das es eigentlich hätte. Intuitiv spüren Ihre Eltern, wenn Sie als das Kind von damals agieren.

Und würden Sie einem Kind zutrauen, die Geschicke der Firma zu übernehmen?

Damit wir uns richtig verstehen: das sind keine bewussten Gedanken, sondern meist unbewusste Prozesse. In die noch viel mehr einfließen kann, als ich in der Kürze hier darstellen kann.

Genau das macht Konfliktsituationen so vielschichtig und schwer durchschaubar. Gerade dann, wenn die Firmennachfolge nicht voran geht, wirken ebenfalls viele verschiedene, auch unbewusste Ursachen.

Also klären Sie, welche alten Geschichten im Übergabeprozess querschießen und wie Sie das lösen können.

Tipp 9: Was ist Ihre Zukunftsvision? Wollen Sie so leben, wie Ihre Eltern?

Zeiten ändern sich. Ihre Eltern haben ihr Leben und ihr Unternehmersein auf ihre Art gelebt. Das muss nicht zwangsläufig für Sie passen. Selbst dann nicht, wenn Sie es Ihr Leben lang nicht anders mitbekommen haben und genau auf diesen Lebensentwurf hin erzogen wurden.

Wenn Sie sich allerdings selbst nicht im Klaren sind, wie Sie leben und arbeiten wollen, dann haben Sie nach außen auch keine Klarheit. Es reicht nicht, wenn Sie wissen „so will ich das nicht“. Ihre Eltern werden dann immer wieder versuchen, Sie in dieselben Bahnen zu ziehen, wie sie es gemacht haben. Und das erstreckt sich natürlich auch auf das Unternehmen.

Im schlimmsten Fall eiern Sie herum, fühlen sich zwischen den Stühlen und können es niemandem recht machen. Am wenigsten sich selbst.

Also nehmen Sie sich die Zeit, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Was ist Ihnen wichtig? Wie soll das Leben aussehen, das Sie führen wollen? Welche Art von Unternehmer und Führungsperson wollen Sie sein? Wohin soll sich die Firma entwickeln? Je detaillierter, desto besser.

Dabei ist das Ergebnis nicht in Stein gemeißelt. Sie können sich jederzeit umentscheiden – das Leben bringt ja gerne mal die eine oder andere Überraschung mit, die eine flexible Reaktion erfordert.

Am besten, Sie machen es sich zur Gewohnheit, Ihre Visionen immer wieder zu überprüfen. Passt das alles noch für Sie? Fragen Sie sich außerdem, warum oder warum nicht. Das kann sehr erhellend sein.

Tipp 10: Gut miteinander reden – die richtigen Fragen stellen, zuhören und selbst gehört werden

Wenn Sie bis hierher aufmerksam gelesen haben, dann sind Ihnen sicherlich die vielen Fragen aufgefallen.

Das hat seinen Grund: Fragen helfen, sich selbst klarer zu werden. Und Ihr Gegenüber besser zu verstehen. Verstehen und Verständnis sind die Grundlage für eine Lösung, die allen Beteiligten taugt.

Am besten funktioniert das dann, wenn Sie nicht schon beim ersten falschen Wort im Gespräch in Ihre eigene Gedankenwelt abtauchen und innerlich Ihre Erwiderung formulieren – Sie verpassen dann eventuell wichtige und erhellende Teile der Antwort Ihres Seniors.

Selbst gehört werden ist da schon schwieriger – je nachdem, welche Kommunikationsmuster sich in Ihrer Familie etabliert haben.

Ja, ich rede hier bewusst von Familie. Wie man kommuniziert, wird zunächst innerhalb der Familie geprägt. Die Familie prägt ebenfalls als erstes, wie Konflikte ausgetragen werden. Was dann in Konfliktsituationen später im Familienunternehmen passiert, ist nur eine Wiederholung der eingespielten familiären Muster.

Generell lässt sich sagen: Im Konfliktfall fühlt sich häufig keiner der Beteiligten gehört. Wie also damit umgehen, wenn Sie den Eindruck haben, dass nicht ankommt, was Sie sagen?

Sie drehen eine Gesprächsregel um: um selbst sicher zu gehen, dass Sie Ihre Gegenüber richtig verstanden haben, fassen Sie am besten das Gehörte zusammen und fragen direkt, ob Sie es richtig aufgenommen haben.

Umgedreht bedeutet das: Sie können nachfragen, was der andere verstanden hat. Stimmt es nicht mit dem überein, was Ihnen wichtig ist, sagen Sie das und stellen es nochmal richtig. Idealerweise mit anderen Worten – das erhöht die Chance, dass ankommt, was Sie meinen.

 

Es kann natürlich sein, dass diese Tipps noch nicht ausreichen. Einen Versuch ist es dennoch wert. Vor allem wenn Sie möchten, dass Ihr Senior versteht, warum Sie die Verzögerung bei der Firmenübergabe so belastet, haben Sie schon ein paar Hebel an die Hand bekommen.

Wenn die Firmenübergabe blockiert, gilt dasselbe wie überall im Leben: Sie können andere Menschen nicht ändern. Jeder hat eine Menge an bewussten und unbewussten Gründen, die seinem Verhalten zugrunde liegen.

Sie können aber immer aus einem anderen Blickwinkel auf die Situation schauen, dadurch neue Entscheidungen treffen und Ihren eigenen Umgang mit allem verändern. Auch das kann eine stagnierende Unternehmensübergabe wieder in Gang bringen.

Buchtipp #18 Zeit für einen Spurwechsel – Wie wir aufhören uns selbst zu blockieren und dem Leben eine neue Richtung geben

(Dr. med. Mirriam Prieß, Verlag Südwest 2018, ISBN 978-3-517-09642-1)

Klappentext

„Es ist nicht die Frage, ob wir gut sind. Es ist nicht die Frage, ob wir reichen. Es ist die Frage: Was hindert uns daran, uns selbst zu leben?“
Dr. med. Mirriam Prieß

Wie wir uns aus der Sackgasse kindlicher Prägung befreien und erfüllt leben können

Sie wissen genau, was richtig ist, aber Sie handeln entgegengesetzt? Sie geraten immer wieder an falsche Personen und verharren in leidvollen Situationen – aber Sie schaffen es nicht, sich davon zu lösen?

„Warum wir in unserem Leben nicht ankommen? Weil etwas in uns genau das nicht will!“. Mit dieser These beginnt die Burnout- und Resilienz-Spezialistin Dr. med. Mirriam Prieß ihr neues Buch und beschreibt, wie wir uns unbewusst von dem abhalten, was wir uns eigentlich wünschen. Auf eindrucksvolle Weise erfährt der Leser, wie uns Prägungen aus der Kindheit unbemerkt in private, berufliche und gesundheitliche Sackgassen führen und die Beziehung zu unserem wahren Ich verhindern. Der neue Ansatz in diesem Buch verdeutlicht, dass vor allem der Mechanismus gelöst werden muss, der sich hinter der kindlichen Prägung verbirgt und dem bislang zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Wie wir uns davon befreien und das eigene Leben kraftvoll in die richtige Richtung steuern können, erfährt der Leser in diesem Buch. Schon nach den ersten Seiten wird deutlich: Es ist Zeit für einen Spurwechsel!

Mein Eindruck

Verkürzt könnte man sagen, dass es in dem Buch von Dr. Prieß um die Beziehung zu sich selbst und zu anderen geht. Ein wichtiges Thema – denn unser ganzes Leben wird von und durch Beziehungen geprägt. Wie sehr dürfte vielen erst klar werden, wenn sie sich näher damit beschäftigen.

In sieben übergeordneten Kapiteln gelingt der Autorin – auch anhand vieler Beispiele und kleiner bzw. größerer Übungen – der schwierige Spagat zwischen Wissensvermittlung, leichtem Lesefluss und einem praktischen, gut beschriebenem Ansatz zur Selbsthilfe. Der rote Faden führt dabei

  • von einem eher allgemeinen Überblick
  • zu Erklärungen, was das eigene Leben prägt
  • bis hin zu den Auswirkungen in (partnerschaftlichen) Beziehungen
  • um sich dann den Möglichkeiten zu widmen, wie ein Spurwechsel im eigenen Leben gelingen kann.

Besonders wichtig und einprägsam finde ich ihre Unterscheidung für Partnerschaften in Schwierigkeiten: erstens Beziehungen, die möglich wären, aber unmöglich gemacht werden. Und zweitens Beziehungen, die unmöglich sind, aber möglich gemacht werden. Dahinter verbergen sich zwar komplexe Themen wie Bindungsangst, Verlustangst, Kränkungsdynamiken und vieles mehr. Für jemanden, der sich selbst einfach besser verstehen möchte und manches in seinem Leben ändern, braucht es jedoch keine therapeutischen oder theoretischen Schubladen, sondern jemanden, der Zusammenhänge erläutert. Und das gelingt Dr. Prieß ausgezeichnet. (Mein Tipp: halten Sie beim Lesen dieses Buches Zettel und Stift bereit, um eigene Erkenntnisse und Schlussfolgerungen gleich zu notieren.)

Was ich ebenfalls an „Zeit für einen Spurwechsel“ sehr schätze: es werden ganz klar die Hürden und Schwierigkeiten benannt, die Ihnen beim Anwenden der Übungen begegnen können. Inklusive Hinweisen, wie Sie damit umgehen können – das ist nicht selbstverständlich. Ein Highlight dabei: das Kapitel „Stark bleiben – die Sache mit dem Strudel“.

Der Lösungsansatz von Dr. Prieß nennt sich „Innerer Dialog“. Übungen und Hinweise, wie das funktioniert, finden sich nicht nur durchgängig an vielen Stellen des Buches, sondern auch in einem eigenen Kapitel. Hier werden die 5 Schritte Dialog mit der inneren Realität, Dialog mit dem Schmerz, Dialog mit den Gefühlen, Verzicht auf Wiedergutmachung und Vergebung genau erklärt.

Mancher tut sich mit den Übungen vielleicht ein bisschen schwerer, wie mir geschildert wurde. Dennoch empfehle ich, sich immer wieder darauf einzulassen. Meist braucht es dafür nur etwas mehr Mut und die Bereitschaft, wirklich hinzusehen/hinzuspüren. Gleichzeitig sollte man seine eigenen Grenzen natürlich achten und bei Bedarf rechtzeitig je nach Thema einen Coach oder Therapeuten hinzuziehen.

Ich empfinde das Buch „Zeit für einen Spurwechsel“ fast wie eine Ergänzung zu Buchtipp #17 Zurück in mein Ich – obwohl die Bücher von unterschiedlichen Autorinnen mit je eigenem Wording und unterschiedlichem praktischen Vorgehen geschrieben wurden. Deshalb empfehle ich auch gerne beide Bücher gleichzeitig.

Wo Vivian Broughton mehr einen grundsätzlichen Einstieg und eine Übersicht über psychische Verarbeitungs- und Traumamechanismen bietet, schreibt Dr. Mirriam Prieß eher selbsthilfeorientiert von Prägungen, der Inneren Realität und den Auswirkungen. Wie man es benennt – Überlebens-Ich oder Innere Realität oder Innerer Feind oder was es sonst noch alles an Bezeichnungen gibt – ist egal. Es geht immer darum, was einen insgeheim steuert. Wie und warum es von einem selbstbestimmten Leben abhält. Und letztlich darum, was man selbst tun kann, um Blockaden zu überwinden und den eigenen Weg zu einem erfüllten Leben einschlagen zu können.

Fazit: Lesenswert – für alle, die den Wunsch haben, Ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Oder auch einfach leichter und ohne Selbstsabotage durchs Leben gehen möchten.

Buchtipp #17 Zurück in mein Ich – Das kleine Handbuch zur Traumaheilung

(Vivian Broughton, Kösel Verlag, ISBN 978-3-466-34633-2)

Klappentext

Erste Orientierung nach traumatischen Erlebnissen

Wenn Sie manchmal das Gefühl haben, die Kontrolle über Ihr Leben zu verlieren, kann es sein, dass es sich um Symptome einer früheren traumatischen Erfahrung handelt. Die Folgen davon zeigen sich oft erst im Erwachsenenalter.

Vivian Broughton erklärt, wie ein Trauma entsteht und wie es sich auf unser Selbst auswirkt. Und sie zeigt Wege auf, wie es schrittweise verarbeitet werden kann.

„Dieses Buch nimmt dem Begriff Trauma den Schrecken und macht Mut, sich den eigenen Traumata zu stellen.“ (Dr. Franz Ruppert, Professor für Psychologie)

Mein Eindruck

Kennen Sie Situationen, in denen Sie sich hinterher denken: Hätte ich nur meinen Mund gehalten? Oder Sie sich im Nachhinein fragen: So bin ich doch gar nicht, so will ich nicht sein – was um Himmels willen ist nur mit mir los gewesen? Oder Situationen, die sich wie verhext immer wieder in Ihrem Leben wiederholen? Verstehen Sie sich manchmal selbst nicht mehr? Dann könnte Ihnen dieses Buch helfen, Ursachen zu finden und sich selbst besser zu verstehen. Gerade auch dann, wenn Sie sich immer wieder in Konflikten wiederfinden, die Sie gar nicht wollen.

Ich bin bei einem Workshop von Professor Franz Ruppert (siehe Buchtipp #16) auf „Zurück in mein Ich“ gestoßen – und habe es inzwischen schon unzählige Male weiterempfohlen und positivste Rückmeldungen von den Lesern bekommen.

Die größten Vorzüge dieses kleinen Büchleins sind sicherlich

  • ein komplexes Thema wie Trauma in aller Kürze (gerade mal 122 Seiten Input) so darzustellen, dass es für jeden nachvollziehbar wird
  • das Thema aus der „Darüber-spricht-man-nicht-Ecke“ herauszuholen
  • und klar zu vermitteln: keiner muss sich damit abfinden, wenn das eigenen Leben nicht läuft wie es einem gut tut.

Das Buch ist in leicht verständlicher Sprache geschrieben, unterstützt durch einige Zeichnungen, Diagramme und Übersichten. Dadurch wird schnell deutlich, dass Trauma eben nicht nur – wie landläufig gern angenommen – die Naturkatastrophe, der Entführungsfall oder ein schwerer Verlust ist. Sondern dass es viele, sehr unterschiedliche und teils über mehrere Generationen wirkende Beeinflussungen geben kann, die sich prägend und hemmend, sogar traumatisch auf das Leben auswirken.

Vivian Broughton holt ihre Leser da ab, wo die meisten stehen: bei Null. Und trotz der knappen Ausführungen geht dabei nichts Wesentliches verloren. Sie schreibt darüber, was ein Trauma ist und wie es wirkt (Stichwort Spaltung des Selbst und Überlebens-Ich). Sie erläutert frühe Traumata, Verstrickungen und Vermeidungs- und Überlebensstrategien. Und sie beschreibt, wie man ein gesundes, stabiles Ich entwickelt und fördert. Hierfür finde ich das Buch großartig.

In einem Punkt weiche ich allerdings von der Ansicht der Autorin ab: es gibt nicht nur diese eine Methode ‘Aufstellung des Anliegensatzes’ von Professor Ruppert, um Lebensblockaden und Traumata zu überwinden.

Jeder Weg ist individuell. Und was für den einen genau passt, ist für den anderen vielleicht zu wenig/zu viel/das Falsche oder der falsche Zeitpunkt.

Wenn Sie sich selbst nicht mehr ausweichen und mutig tun, was nötig ist (auch mit externer Hilfe), dann werden Sie Ihren Weg zu einem glücklicherem Leben auch finden. Egal mit welcher Methode. Einen ersten Einstieg finden Sie in diesem Buch.

Fazit: Empfehlenswert – für alle, die sich selbst und andere besser verstehen und damit Konflikte reduzieren und das eigenen Leben lebenswerter gestalten möchten.

Buchtipp # 16 Verwirrte Seelen – Grundzüge einer systemischen Psychotraumatologie

(Franz Ruppert, Kösel Verlag, ISBN 978-3-466-30600-8)

Klappentext

»Der Sinn des Wahnsinns ist es, auf etwas aufmerksam zu machen, was seelisch nicht in Ordnung ist.«

(…)

 

Mein Eindruck

Sie werden sich wahrscheinlich fragen, warum ich hier – in einem Konflikt- und Businesskontext – ein Buch empfehle, das sich mit Trauma und sogar Schizophrenie beschäftigt.

Abgesehen von dem scheinbar sehr weit entfernten Themenkomplex berührt es ja auch noch Tabus. Der Zusammenhang erschließt sich also nicht gleich auf den ersten Blick. Das kann ich Ihnen jedoch relativ leicht näher bringen:

Ich bin großer Verfechter der Ansicht, dass die private Person nicht außerhalb des Firmeneingangs zurück bleibt und quasi stattdessen in ein „Berufsmäntelchen“ schlüpft, dass sie abends an der Büro- oder Firmentüre wieder auszieht. Sondern dass sich jeder Mensch selbst überall mit hin nimmt. Logischerweise das private Ich also auch ins berufliche Umfeld. So weit so einleuchtend.

Dasselbe gilt jedoch meiner Ansicht nach auch in einem größeren Kontext. Die Dynamiken einer Familie beeinflussen – mal mehr, mal weniger – insbesondere die Dynamik eines Familienunternehmens. Die Familienseele prägt sozusagen die Unternehmensseele mit. Und schon sind wir am entscheidenden Punkt.

Hier kommt das Buch des Münchner Professors Franz Ruppert ins Spiel.

Er beschreibt über weite Strecken, welchen Einfluss vergangene und vielleicht auch verschwiegene Ereignisse und Traumata auf das eigene und das Leben der Nachfahren haben – bis hin zu Schizophrenie. Aber das ist eben nur eine von sehr vielen möglichen Auswirkungen in den unterschiedlichsten Abstufungen. Sozusagen die absolute Spitze, das sichtbare Maximum. Und auch wenn davon immer wieder die Rede ist, geht es doch eher um ein grundsätzliches Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen. Und diese Zusammenhänge betreffen auch berufliche Kontexte.

Unter den zahlreichen angeführten Beispielen ist auch eines aus dem Businessbereich (Kapitel 8, Fallbeispiel 4). Wer dieses Beispiel wie auch das gesamte Buch aufmerksam liest, erkennt sehr schnell, dass Familienereignisse ein Unternehmerleben (bzw. auch ein Unternehmen) nicht kalt lassen.

Wer einen Schritt weiter denkt, der kann sich leicht vorstellen, dass so manche hartnäckigen Probleme oder schwer lösbaren Konflikte auch eine bisher unbeachtete Ursache im Familiensystem oder der Unternehmensgeschichte haben können. Und sich gerade deshalb nicht mit Verstand und Vernunft alleine lösen lassen. Auch ein Unternehmen besteht letztlich eben aus Menschen.

Doch zurück zum Buch.

Ich kann nur sagen: lesen Sie dieses Buch. Wir brauchen gerade auch im Business Grundkenntnisse darüber, was das Leben steuert. Ursache und Wirkung ist in unserem Zusammenleben ständig präsent, nur zu oft unerkannt. Mit veränderten Sichtweisen lassen sich angemessene Lösungen finden, die allen dienlich sind und nicht nur an den Symptomen „rumdoktern“.

Professor Ruppert verändert den Blickwinkel. Er beschreibt in zehn Kapiteln sowohl allumfassend wie auch tiefgründig Ursachen und Wirkungen. Mit zahlreichen, teils detaillierten Fallbeispielen aus seiner Praxis, die die Zusammenhänge noch schneller verstehen lassen. Sein Schreibstil ist dabei angenehm zu lesen. Ohne zu fachlich oder zu oberflächlich zu werden. Das Buch ist auch so verfasst, dass man problemlos immer wieder unterbrechen kann. Also keine Angst vor zu langen Kapiteln.

Inhaltlich baut der Autor eins auf das andere auf. Auch als Laie können Sie das Buch lesen und verstehen. Es braucht allerdings einen offenen Geist und Mut, sich einzulassen, wenn Sie Themen wie Trauma, Depression, Ängste oder Wahn bisher eher gemieden haben. Doch gerade dann birgt es wahrscheinlich einen Schatz für Sie.

Leider ist das Buch aktuell nur noch als eBook erhältlich. Doch auch dann, wenn Sie ein absoluter Gegner von eBooks wären, würde ich Ihnen das Buch empfehlen.

Am Ende sind Sie dann nicht nur um einige theoretische Kenntnisse reicher. Sie können mit erweitertem Blickwinkel auf die verschiedenen Bereiche Ihres Lebens blicken – unter anderem eben auch auf die Verflechtungen zwischen Ihnen, Ihrem Familiensystem und Ihrem Unternehmen. Wer mehr versteht, findet leichter (Konflikt-)Lösungen. Und genau darum geht es mir mit diesem Buchtipp.

Fazit: Für alle, die bereit sind über den Tellerrand hinaus zu blicken.

Was passiert mit Ihnen, wenn Sie gekränkt werden?

Wollten Sie schon mal einfach nur im Boden versinken, wenn jemand Sie verletzt hat?

Das ist Scham.

Kennen Sie das Ziehen oder Drücken in Brust oder Bauch, wenn ein geliebter oder auch nur für Sie wichtiger Mensch in einem Streit verbal auf Sie losgeht?

Das ist der Schmerz.

Oder den berühmten Moment, in dem Ihnen nichts mehr von dem einfällt, was Sie eigentlich unbedingt anbringen wollten?

Das ist die Blockade.

Kennen Sie vielleicht auch die Wut, wenn Sie sich ungerecht behandelt fühlen?

Das ist die Aggression.

Und damit haben wir bereits alle vier Reaktionen beisammen, die IMMER bei einer Kränkung oder einem Streit ablaufen:

  • Scham
  • Schmerz
  • Blockade
  • Aggression

Je nach Persönlichkeit werden Sie wahrscheinlich den einen Punkt mehr wahrnehmen und den anderen weniger. Dennoch werden durch Kränkungen, Streit oder Konflikte immer alle vier Folgen ausgelöst.

 

Die Hintergründe

Jeder Mensch hat psychische Grundbedürfnisse:

  • wir wollen uns wenigstens zu einem Mindestmaß sicher fühlen
  • wir wollen wertgeschätzt und respektvoll behandelt werden
  • wir wollen dazu gehören
  • wir wollen wirksam sein

Wenn diese Grundbedürfnisse nun verletzt werden, wie bei einem Streit oder einer Kränkung, setzen obige Reaktionen ein.

Keine der Folgen ist dabei eine Lappalie, denn eine Kränkung trifft uns immer im Innersten. Selbst dann, wenn das nicht (mehr) bewusst wahrgenommen werden kann. Was leider weit verbreitet ist aufgrund der eigenen Geschichte, unserer Sozialisation, gesellschaftlicher Ansprüche und anderer Gründe.

Wenn Sie sich verletzt fühlen, ist das ein sehr persönliches Gefühl und kein anderer kann beurteilen, ob Sie sich zurecht gekränkt fühlen oder nicht. Denn kein anderer steckt in Ihrer Haut, mit Ihrer eigenen Geschichte als Grundlage. Diese persönliche Vorgeschichte macht den Unterschied. Deshalb reagiert auch der eine sehr schnell auf eine bestimmte Kränkung und ein anderer bei denselben Äußerungen eventuell gar nicht.

Eines ist jedoch sicher – Kränkungen sind immer Grenzverletzungen. Und es ist normal, sich dadurch geschwächt, angegriffen und verletzt zu fühlen.

Zwei Besonderheiten gibt es noch:

Die Aggression kann verschiedene Richtungen nehmen: gegen den Kränker, gegen sich selbst oder auch verschoben gegen einen unbeteiligten Dritten. Wenn der Angriff oder Streit besonders stark empfunden wird, können sogar alle drei Varianten in Kombination als Folge auftreten.

Die zweite Besonderheit findet sich im Bereich der Scham. Sobald Zeugen dabei sind, wird eine Kränkung von den meisten Menschen als wesentlich stärker empfunden als wenn nur zwei Beteiligte sich im stillen Kämmerlein zoffen. Die Scham darüber kann so tief empfunden werden, dass gefühlt nichts und niemand etwas daran ändern kann.

 

Wie äußern sich die vier Folgen?

Scham

Neben dem akuten Gefühl, im Boden versinken zu wollen, gibt es auch noch langfristige Folgen.

Zum Beispiel sinkt der Selbstwert. Denn viele empfinden es als Schande, sich selbst nicht gut genug schützen zu können. Wer sich schämt, zieht sich leichter zurück und vermeidet es soweit möglich, erneut in eine ähnliche Situation zu kommen. Zum Beispiel auch dadurch, dass man sich weitestgehend korrekt verhält, um nicht erneut aufzufallen und zum Ziel zu werden.

Außerdem steigt die Angst vor Fehlern. Wer mehr Angst hat, Fehler zu machen, tut sich auch schwerer, sich auf Neues einzulassen. Selbst die Kreativität leidet langfristig, denn kreativ ist am ehesten derjenige, der sich offen auf Neues einlassen kann.

Schmerz

Verletzt zu werden tut weh. Das finden wir schon in unserem Sprachgebrauch. Und auch diese Reaktion ist absolut logisch. Der Schmerz ist ein Warnsignal, dass etwas nicht gut für uns ist. Und damit absolut wichtig, wenn auch unangenehm.

Der seelische Schmerz hat noch viele weitere Gesichter. Seelischer Schmerz kann sich in Energielosigkeit zeigen und sich zum Beispiel als Ängste oder Depression festsetzen.

Auf der anderen Seite kann es auch sein, dass jemand sehr gefühllos oder gar sadistisch agiert. Genauer betrachtet ebenfalls absolut logisch: wer selbst nichts mehr fühlt, kann sich auch bei anderen wenig bis gar nicht einfühlen.

Sowohl Depressionen als auch fehlende Empathie sind häufig Reaktionen auf große seelische Verletzungen. Getreu dem Motto „Bloß nichts mehr fühlen…“ sind das eben zwei Wege, wie man dem inneren Schmerz ausweichen kann.

Blockade

Blackout. Gerade jetzt, wenn man sich dringend verteidigen oder etwas klarstellen möchte. Gerade dann, wenn man einen messerscharfen, klaren Verstand bräuchte. Wer nicht mit einer in allen Situationen funktionierenden Schlagfertigkeit gesegnet ist, wird das kennen.

Es kann jedoch auch weniger dramatisch ablaufen:

Sie ziehen sich einfach eine zeitlang in Ihr inneres Schneckenhaus zurück, fühlen sich niedergeschlagen oder werden auf einmal müde. All das und mehr sind im Kontext Anzeichen für eine innere Blockade, weil Ihre Bedürfnisse verletzt wurden.

Aggression

Die bekannteste Form der Aggression ist die Rache: jemand hat Ihnen etwas angetan und das soll er büßen. Der andere soll entweder dasselbe erleiden und nachfühlen oder bei besonders schlimmen Kränkungen am besten noch zusätzlich bestraft werden. Und das kann auch noch nach Jahren präsent sein.

Auch die aufwallende Wut, um sich bereits in der Situation direkt zu verteidigen, ist hier einzusortieren.

Weniger offensichtlich: Sie suchen sich Verbündete, denen Sie Ihr Leid klagen können. Um dann im besten Fall gemeinsam den Anderen abzuwerten. Auch wenn Sie den Kränker in der Folge boykottieren, ihn mehr missverstehen als notwendig, ihn „ablaufen“ lassen oder in ausgrenzende Überaktivität ausbrechen – alles Zeichen der Aggression, weil Sie gekränkt wurden.

Richtet sich die Aggression gegen unbeteiligte, schwächere Dritte, spricht man von verschobener Rache. Besonders häufig z.B. unter Geschwistern oder in hierarchischen Strukturen anzutreffen. Sie kennen bestimmt den Ausdruck „nach oben buckeln und nach unten treten“? Genau das ist damit gemeint.

Verschobene Rache kann sich auch in ein komplett anderes Feld verlagern, zum Beispiel ist der Ursprung im Büro, jedoch bekommen die Kinder am Abend die schlechte Laune ab.

Ebenfalls nicht auf den ersten Blick offensichtlich: Sie werden körperlich oder psychisch krank. Dies ist ein extrem weites Feld, deshalb beschränke ich mich hier auf diese wesentliche Aussage.

 

Und dann ist da noch die Ohnmacht

Sein Leben im Griff zu haben und Einfluß nehmen zu können, ist für die meisten Menschen ein wichtiges Grundgefühl. Bei einer Kränkung, wenn die vier Folgen stante pede ablaufen, fühlt es sich allerdings eher nach ausgeliefert sein an. Von Wirksamkeit weit entfernt.

Die erlebte Ohnmacht ist eine nicht zu unterschätzende Triebfeder für spätere Rachedynamiken, egal welcher Art. Es bedarf schon einiger Selbstreflexion und Übung, um aus der Nummer wieder auszusteigen. Und selbst dann gelingt es wohl nicht immer.

Es lohnt sich jedoch, wenigstens bewusst zu haben, was in einem abläuft. Wenn auch nur die ein oder andere Rachedynamik unterbleibt, ist schon etwas für unser aller Zusammenleben gewonnen.

 

Extremform Mobbing

Mobbing ist eine sehr extreme und andauernde Form von Kränkungen, die massiv Ihre psychische und körperliche Gesundheit angreift.

Bei Mobbing steht Ihr gesamtes System unter Stress, die oben beschriebenen Folgen laufen quasi in Dauerschleife. Aggressionen richten sich hier zusätzlich häufig gegen sich selbst. So geschwächt wird es immer schwieriger, aus dieser toxischen Situation auszusteigen.

Sollten Sie Mobbing erleben, holen Sie sich bitte jede Hilfe, die Sie kriegen können und Ihnen gut tut.

 

Kränkungen in Familienunternehmen

Kränkungen gibt es überall. In Familien genauso wie am Arbeitsplatz.

Fällt beides zusammen wie bei Familienunternehmen, kann es ganz schön komplex werden. Viele Familienunternehmer „behelfen“ sich damit, dass sie versuchen, jegliche Emotion aus dem Unternehmen rauszuhalten.

Das kann jedoch nicht die Lösung sein.

Denn im Extremfall wird dadurch alles eintönig. Wie wollen Sie dann noch die Leidenschaft spüren für das, was Sie tun?

Gegenseitiges Verständnis, echtes Interesse aneinander und fortwährender Austausch helfen Ihnen wesentlich mehr, einerseits verbindlich und ehrlich auf persönlicher Ebene zusammen zu stehen und andererseits gemeinsam im Business erfolgreich zu sein. Möglichst ohne Kränkungen.

 

Fazit

Wenn jemand Sie kränkt und verletzt, passiert also eine ganze Menge automatisch in Ihnen. Und das völlig unabhängig davon, ob Ihre Partnerin oder Ihr Chef, Ihre Tochter oder Ihr Kunde der Kränker ist. Oder ob Sie denken, Sie könnten die Folgen mit ein bisschen Disziplin und Logik im Griff behalten.

Von selbst verschwinden außerdem die meisten Folgen daraus nicht.

Sie können jedoch für sich und Ihr Wohlergehen sorgen. Wenn Sie dabei Unterstützung benötigen, rufen Sie mich gerne an.

Wie Fragen Ihnen helfen, Konflikte zu entschärfen

Was ärgert Sie persönlich am meisten, wenn Sie mitten in einem Streit oder einer eskalierten Meinungsverschiedenheit stecken und nicht weiterkommen?

Bei meinen Recherchen haben über 80% der Befragten geantwortet: „wenn der andere mich nicht versteht oder sich noch nicht mal die Mühe macht, mich zu verstehen.“ Dabei spielte es keine Rolle, ob der Streit beruflich oder privat bedingt war.

Woran liegt das?

Entgegen der weit verbreiteten und oft gehörten Meinung, über persönlichen Animositäten oder Kränkungen muss man ab einem gewissen Bildungs- und Intelligenzniveau zumindest beruflich drüber stehen und die Sache in den Mittelpunkt rücken, habe ich in unzähligen Situationen genau das Gegenteil beobachtet. Und zwar völlig losgelöst vom beruflichen Stand, Bildungsniveau oder sonstigen gern zitierten Markern.

Es liegt in unserer Natur: Kränkungen verursachen eine bestimmte Dynamik, die uns Menschen auseinander treibt.

Verstanden zu werden hingegen schafft sofort ein wohltuendes Gefühl von Verbundenheit. Man fühlt sich angenommen und entspannt sich. Die persönliche Ebene ist gesichert. Die innere Energie muss nicht für Schutz- oder Abwehrmechanismen zur Verfügung stehen. Denn jeder Mensch schützt sich ganz automatisch, wenn er sich angegriffen oder abgelehnt, unverstanden oder verletzt fühlt.

Doch wie lässt sich so eine Atmosphäre auch dann noch herstellen, wenn jeder schon gekränkt ist und die Situation sich längst hochgeschaukelt hat? Wie lässt sich in einer heißen Streitphase der Konflikt entschärfen?

Indem Sie ehrliches Interesse an Ihrem Gegenüber haben.

Warum reagiert der Andere so? Warum ist er/sie so festgefahren in seiner Ansicht? Was hat ihn/sie so verletzt? Was ist ihm/ihr wichtig? Am besten finden Sie das über Nachfragen heraus:

 

10 Fragen für besseres Verständnis in Konfliktsituationen

  • Gibt es Hintergründe/Erfahrungen/Konsequenzen, die ich nicht kenne/übersehe und die hier eine Rolle spielen? Welche? 
  • Was ist Ihnen besonders wichtig?
  • Worüber machen Sie sich Gedanken/Sorgen?
  • Was ärgert Sie am meisten? (>>allgemein)
  • Womit habe ich Sie verärgert? (>>personenbezogen)
  • Wie haben Sie interpretiert, was ich gesagt habe?
  • Was wünschen Sie sich stattdessen?
  • Was kann ich tun, damit wir gemeinsam eine Lösung finden?
  • Verstehe ich Sie richtig?
  • Gibt es etwas, bei dem Sie einen Schritt auf mich zumachen könnten?

 

Das ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt an möglichen Fragen. Versuchen Sie neugierig zu sein auf die andere Person, dann fallen Ihnen die passenden Fragen fast automatisch ein.

Übrigens funktioniert das im Business oder Büro genauso wie Privat. Die Fragen müssen Sie ja eh an die Situation und die Person gegenüber anpassen.

Bei allen Fragen geht es letztlich darum, Barrieren abzubauen und sich interessiert und ernsthaft auszutauschen. Gegenseitiges Verständnis ist die Basis für Lösungen, die alle Beteiligten mittragen können. Selbst wenn Sie jeweils unterschiedlicher Meinung sind.

Wie Sie einen Streit in 5 Schritten beenden

Hätten Sie manchmal im Konfliktfall auch gern jemand an Ihrer Seite, der wieder Ruhe in die Sache bringt und hilft, die Emotionen abzukühlen? Der Sie aus dem Tunnelblick holt und dieses Ping-Pong an Kränkungen beendet?

Dann geht es Ihnen wie vielen Menschen.

Wie wäre es denn, wenn Sie selbst dieser Jemand wären, der die Lage beruhigt und gleichzeitig die Kommunikation am Laufen hält?

Der charmante Vorteil: Sie haben sich selbst immer dabei und sind auf niemand angewiesen. Es braucht nur etwas Mut und – zugegeben – auch ein wenig Übung und Hintergrundwissen. Doch zumindest bei letzterem kann ich Ihnen weiterhelfen.

 

Falls Sie gerade dringend die 5 Schritte benötigen, kommt hier die Kurzfassung

  1. Stopp-Signal
  2. Beenden Sie sofort die Beziehungskiller
  3. Tief durchatmen und nachdenken: was sind eigentlich Ihre wahren Bedürfnisse?
  4. Sagen Sie Ihrem Gegenüber, was Ihnen wirklich wichtig ist
  5. Hören Sie sich zu und tauschen Sie sich aus bis Sie eine Lösung haben

Im Grunde ist es eigentlich ganz einfach. So einfach, dass ich Sie schon denken höre „Wie? Das war’s schon?“.

Wenn Sie alles berücksichtigen, dann ist es auch einfach. Das Problem sind immer unsere Muster, die uns einen Strich durch die Rechnung machen, wenn wir es am wenigsten brauchen können. Also im Stress.

 

Hintergrundwissen

Damit Sie die 5 Schritte leichter umsetzen können, noch ein wenig Hintergrundwissen.

1. Stopp-Signal

Vereinbaren Sie (vor allem bei häufigeren Konflikten mit derselben Person) in einem entspannten Moment ein gemeinsames Stopp-Signal.

Dieses Signal kann alles mögliche sein – von der gehobenen Hand bis hin zum gesprochenen Wort. Aber halten Sie es einfach. Wenn Sie mitten im Konflikt und gestresst sind, muss es Ihnen zum einen wieder einfallen und zum anderen muss es der andere auch erkennen können.

Derjenige, dem zuerst auffällt, dass sie sich in alten Mustern befinden, gibt das vereinbarte Signal und bittet um sofortiges Innehalten und Beenden des Streits.

2. Beenden Sie sofort die Beziehungskiller

Das Thema Beziehungskiller ist ziemlich umfangreich. Deswegen finden Sie dazu einen eigenen Artikel.

Die 4 Beziehungskiller sind:

  • Unsachliche Kritik und Vorwürfe
  • Geringschätzung und Verachtung
  • Besserwisserei und Ausflüchte
  • Rückzug, Mauern und Schweigen

Insgesamt lässt sich sagen, dass alle genannten Verhaltensweisen im Normalfall unbewusst angewandt werden. Gleichzeitig ist das keine Entschuldigung, dies weiterhin zu tun. Denn die Beziehungskiller verhindern massiv, dass Sie sich ebenbürtig begegnen können.

3. Tief durchatmen und nachdenken: was sind eigentlich Ihre wahren Bedürfnisse?

Tief durchatmen, kurze Gesprächspause.

Besinnen Sie sich auf sich selbst: was steckt hinter Ihren Vorwürfen an Ihr Gegenüber? Was wollen Sie eigentlich? Worum geht es Ihnen wirklich? Was wollen Sie stattdessen?

Das ist manchmal gar nicht so leicht herauszufinden. Es braucht ein wenig Übung, die eigenen Bedürfnisse nicht nur zu kennen, sondern auch benennen zu können.

Tipps und Anleitungen dazu finden Sie in vielen Büchern zur Gewaltfreien Kommunikation. Das Buch „Wenn die Giraffe mit dem Wolf tanzt“ (Buchtipp #10) kann hier ein guter Einstieg sein.

4. Sagen Sie Ihrem Gegenüber, was Ihnen wirklich wichtig ist

Sie haben herausgefunden, was Sie wirklich wollen? Prima, dann muss es nur noch Ihr Gegenüber erfahren.

Sie können Ihre Bedürfnisse zum Beispiel als Wunsch oder Bitte formulieren. Das hilft Ihnen, dass die Mauern nicht gleich wieder hoch fahren. Und Sie bleiben gleichzeitig näher an Ihren eigenen Bedürfnissen.

Versuchen Sie so klar wie möglich zu bleiben. Wenn Ihnen das schwer fällt, können Sie sich ein paar Notizen machen, um Ihren roten Faden zu behalten.

5. Hören Sie sich gegenseitig zu und tauschen Sie sich aus bis Sie eine (Zwischen-)Lösung haben, die alle Beteiligten akzeptieren können

Zuhören ist wichtig. Echtes Zuhören. Bei dem Sie in Gedanken nicht schon Ihre eigenen Gegenargumente formulieren, sondern bis zum letzten Wort Ihrem Gegenüber folgen.

Doch wie heißt es schon bei Konrad Lorenz?

„Gedacht ist noch nicht gesagt, 

gesagt ist noch nicht gehört,

gehört ist noch nicht verstanden,

verstanden ist noch nicht einverstanden,

(…).“

Gehört ist also noch nicht verstanden. Deshalb fragen Sie besser nach, ob Sie das Gehörte richtig verstanden haben. Geben Sie wertschätzend wieder, was Sie gehört haben und hören Sie genau hin, ob Ihr Gegenüber es so gemeint hat. Umgekehrt natürlich genauso.

Verstanden ist auch noch nicht einverstanden: Sie haben verstanden, das hat Ihr Gegenüber klar bestätigt. Sie sind aber nicht einverstanden? Dann äußern Sie sich dazu. Und Ihr Gegenüber ist jetzt an der Reihe zuzuhören und nachzufragen. Und so weiter. Bis Sie zu einem Ergebnis gekommen sind.

Übrigens: je nach Übung, Tagesform und Gegenüber gelingen die 5 Schritte mal besser und mal schlechter. Das ist völlig normal. Bleiben Sie einfach immer wieder dran. Sie werden erstaunt sein, wieviel sich positiv verändern kann.

Viel Erfolg!

Wer ist im Konfliktfall eigentlich schuld?

Haben Sie bei einem Streit schon mal ernsthaft beiden Parteien zugehört? Ohne sich selbst mit reinziehen zu lassen, sprich parteiisch zu werden? Gar nicht so leicht, oder?

Denn wenn Sie dem einen zuhören, ist meist völlig plausibel, dass die andere Konfliktpartei „schuld“ ist. Gehen Sie jedoch auch zur zweiten Konfliktpartei, wird es verzwickt. Denn aus deren Sicht verhält es sich natürlich genau gegensätzlich. Und diese Sichtweise ist aus einer neutralen Position heraus ebenso nachvollziehbar wie die der ersten Konfliktpartei.

Täter und Opfer im Konfliktfall

In der Fachsprache sehen sich beide Parteien als Opfer. Die jeweilige Gegenseite muss dann ja automatisch der Täter, also schuld an allem, sein. Das ist im Strafrecht so und hat sich auch in die grundsätzliche gesellschaftliche Sichtweise so eingebrannt: ein Täter ist ein Täter. Punkt.

Nur hätten wir dann aus Sicht der Konfliktparteien zusammen genommen zwei Opfer und gleichzeitig zwei Täter, obwohl nur zwei Parteien beteiligt sind. Geht das überhaupt? Zwischenmenschlich betrachtet ist es also nicht ganz so einfach und eindeutig.

Schuld oder Verantwortung?

Da stellt sich als erstes die Frage, ob es tatsächlich um Schuld geht oder vielleicht doch eher um Verantwortung. Und ob beides dasselbe ist. 

Ich kürze die Sache ab: nein, es ist nicht dasselbe. Genaueres zur Unterscheidung erfahren Sie demnächst in einem eigenen Artikel.

Im normalen Konfliktgeschehen (normal ist hier wirklich ziemlich weit gefasst) spreche ich von Verantwortung.

Doch was ist eigentlich Verantwortung?

Verantwortung bedeutet zu dem zu stehen, was man tut oder unterlässt, sagt oder verschweigt. Sich klar zu machen, das man sich auch anders verhalten könnte. Anzuerkennen, dass es immer eine Wirkung gibt zu dem, was man in eine Situation hineingibt.

Wenn nun die Wirkung eine andere ist als das, was man möchte, ist (Selbst-)Reflexion, Analyse und verändertes Verhalten besser dazu geeignet, die Situation zu drehen und den Konflikt zu beenden, als Schuldzuweisung oder Schuldgefühle.

Jemand anderen kann ich nur schwer beeinflussen, ich selbst kann jedoch immer auch anders entscheiden oder mindestens dem auf den Grund gehen, warum ich mich so und nicht anders verhalten habe. Je nachdem wie ich mich entscheide und verhalte, entwickelt sich eine Situation ganz unterschiedlich.

Somit hätten wir die Frage in der Überschrift geklärt: in den meisten Fällen ist keiner schuld, jedoch haben alle Beteiligten Verantwortung dafür, wie eine Situation sich entwickelt.

Zwei Beispiele

Um das Ganze noch etwas klarer zu machen zwei kurze Beispiele, bei denen ich die Begriffe Täter und Opfer zur Darstellung weiter verwende.

Beispiel 1

Stellen Sie sich eine Führungskraft im mittleren Management vor. Von deren Vorgesetzten kommt ziemlich viel Druck. Sie soll Vorgaben erfüllen, die einfach nicht zu schaffen sind. Ganz abgesehen davon, sind viele Vorgaben einfach nicht sinnvoll, wenn diese bis zu Ende gedacht werden.

Die Führungskraft gibt – ganz automatisch – den Druck nach unten zu den Abteilungsleitern weiter. Und diese zu den Teamleitern. Und diese wiederum an die Mitarbeiter ihrer Teams. Bis die Mitarbeiter schließlich nur noch Dienst nach Vorschrift machen, weil der gesammelte Druck von oben weder angemessen noch fair noch zielführend ist und letztlich auch massive Kränkungsdynamiken auslöst.

Ist diese Führungskraft nun Täter oder Opfer? Oder letztlich beides?

Genau genommen beides.

Sie ist Opfer, da sie etwas auffangen soll, was von vorne herein nicht zu schaffen ist bzw. keinen Sinn macht. Der Druck von oben ist sicher keine einfache Sache. Sich ständig für sinnlose Erwartungen rechtfertigen zu müssen entwürdigend und der Sache überhaupt nicht dienlich.

Gleichzeitig ist die Führungskraft auch Täter, denn sie gibt die bei ihr entstandenen Kränkungen 1:1 nach unten weiter. Und produziert damit weitere Kränkungen, die die grundsätzliche Situation weiter verschlimmern und die Zahl der Betroffenen weiter vergrößern.

Beispiel 2

Versetzen Sie sich in eine Situation wie in vielen Beziehungen: Ihre Partnerin ist in letzter Zeit oft ungehalten. Sie haben das Gefühl, Sie können ihr nichts recht machen, ständig kommt Kritik und Genörgel.

Da Ihnen die ständigen Konflikte ziemlich an die Nieren gehen, weichen Sie ihr immer mehr aus. Überstunden im Büro, Sie legen Extraeinheiten Sport ein und der Nachbar kommt mit seinem Handwerkerproblem auch sehr gelegen, um der Situation aus dem Weg zu gehen.

Die Folgen? Sie sind kaum noch zu Hause und Ihre Partnerin läuft quasi Amok. Sie fühlt sich weder gesehen, noch gehört oder gar ernst genommen. Der Dauerstreit droht vollends zu eskalieren. Da sowieso ein Wort das nächste ergibt, schweigen Sie lieber. Vermeintlich kann es ja kaum schlimmer kommen. Seltsamerweise beruhigt sich die Situation dadurch nicht. Sie fühlen sich hilflos, haben keine Idee, wie Sie wieder in ruhigere Gewässer gelangen können.

Wie steht es hierbei? Sind Sie Täter oder Opfer oder beides?

Sie ahnen es schon – natürlich wären Sie in diesem Beispiel Täter und Opfer. Doch woran liegt das?

Zum einen sind da die ständigen Angriffe. Wenn man eventuell gar nicht versteht, warum diese Angriffe erfolgen, man sich mit seiner Position im Recht fühlt oder sich hilflos ausgeliefert fühlt, wenn Kränkungen geschehen, gerät man schnell in eine (innere) Opfer-Haltung.

Zum anderen sind da die eigenen Re-Aktionen. Ausweichen und schweigen zählt zu den Beziehungskillern. Das ist zum Beispiel ein Teil, der als Täter-Anteil zu sehen ist. Auch damit wird eine Kränkungsdynamik in Gang gesetzt.

In den Beispielen wird schon klarer, warum es keine simple Schuldzuweisung in Konflikten geben kann.

Fazit: Es ist häufig wirklich nicht einfach, einerseits den eigenen Anteil an Konfliktsituationen zu erkennen und sich andererseits trotz Kränkungen auf entschärfende Reaktionen zu besinnen. Dennoch – wenn Ihnen die Zusammenarbeit, die Beziehung, die beteiligten Menschen wichtig sind, lohnt es sich.

Kennen Sie die 4 Killer JEDER Beziehung?

Und damit meine ich auch wirklich jeder Beziehung. Zu Ihren Liebsten genauso wie zu Ihren Geschäftspartnern, Mitarbeitern und Kunden.

Falls Sie also dachten, „das betrifft mich nicht – ich habe ja einen Konflikt in meiner Firma“ muss ich Sie leider enttäuschen. Unabhängig davon, welche Art von Beziehung Sie pflegen wollen, diese Killer killen auf Dauer wirklich jedes gute menschliche Miteinander. Je nachdem, wie Ihr Gegenüber gestrickt ist mal früher, mal später und mit unterschiedlichen Auswirkungen. Doch Schwierigkeiten sind damit quasi vorprogrammiert.

Was sind also die Verhaltensweisen, die Sie unbedingt vermeiden sollten?

Für die Eiligen unter Ihnen in Kurzform:

  1. Unsachliche Kritik und Vorwürfe
  2. Geringschätzung und Verachtung
  3. Besserwisserei und Ausflüchte
  4. Rückzug, Mauern und Schweigen

Lassen Sie uns gemeinsam einen genaueren Blick darauf werfen, was ich damit meine:

 

1. Unsachliche Kritik und Vorwürfe

Das Ganze kann sehr versteckt passieren oder auch offen. Schuldzuweisungen fallen häufig darunter. Oder auch die Verurteilung einer Person. Ganz zu schweigen von Vorwürfen, die mit der ursächlichen Situation nicht mehr viel zu tun haben und sich im schlimmsten Fall generalstabsmäßig ausweiten. Vor allem wenn quasi die ganze Persönlichkeit angegriffen wird.

Hand aufs Herz: wer von Ihnen hat seinen Partner, seine Kinder oder einen Kollegen noch nie so angemotzt, dass sich ein Beobachter denken würde „das ist jetzt ganz schön übertrieben – gehört das überhaupt hierher?“.

Das in der Regel unbewusste Ziel dieses Verhaltens fällt meist unter das Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. Manchmal geht es nur darum, dass der Angreifer sich etwas Luft verschaffen möchte. Soweit menschlich und nachvollziehbar, auch wenn es besser geeignete Vorgehensweisen gibt. Im schlimmsten Fall zieht der Angreifer seine Energie daraus, wenn er sein Gegenüber nieder macht. Das ist leider sogar weit verbreitet.

Hilft es weiter, sich so zu verhalten? Vielleicht für einen kurzen Moment. Doch der langfristige Flurschaden ist es nicht wert, wenn Ihnen grundsätzlich an Ihrem Gegenüber gelegen ist.

TIPP: Halten Sie doch beim nächsten Mal einen Moment inne, wenn Sie in einer Auseinandersetzung die Worte „immer“ oder „nie“ verwenden. Erstens stimmt diese Form der Pauschalisierung bei näherer Betrachtung in den seltensten Fällen. Und zweitens ist das eine Spielart unsachlicher Kritik.

Vielleicht fällt Ihnen beim Innehalten dann auf, wie Sie sich selbst damit fühlen würden und können anders reagieren. Getreu dem neuen Motto „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu“.

 

2. Geringschätzung und Verachtung

Kennen Sie das? Sie stellen im Meeting Ihre Ideen vor und der Kollege hat nichts Besseres zu tun, als seine Spitzen abzufeuern, sie zu unterbrechen und darüber herzuziehen. Oder will Ihnen auf Biegen und Brechen beweisen, dass Sie im Unrecht sind, das Ganze nicht funktionieren kann, rollt mit den Augen, grinst spöttisch oder Schlimmeres. 

Womöglich äußert er sich auch noch versteckt oder sogar offensichtlich unterhalb der Gürtellinie, auf jeden Fall unangemessen zur Situation.

Dabei ist seine Kritik weder sachlich hilfreich noch richtig. Kein Wunder, denn das Ziel solchen Vorgehens ist einzig und allein der Angriff auf Ihre Person. Ein häufiger Grund dafür: Ihr Gegenüber will Sie verunsichern und klein halten. In den meisten Fällen passiert das zwar absolut unbewusst oder hat sich als eine Art Schutzmechanismus beim Angreifer weitgehend verselbständigt. Dennoch ist dieses Verhalten sehr kränkend und schwächt eine Beziehung.

Übrigens beschränkt sich dieses Vorgehen nicht nur auf männliche Mitmenschen, auch wenn ich das Beispiel hier so gewählt habe. Es gibt genügend Frauen, die dieses Verhalten perfektioniert haben. Manchmal ist es nur die regelmäßig hochgezogene Augenbraue oder ein aussagekräftiges Augenrollen.

Grundsätzlich gilt: Jegliche Geste oder Äußerung, die Hohn, Spott, Provokation, Streitsucht oder Drohungen beinhaltet, kann hier einsortiert werden. Auch wenn es nur die Stimmlage und die Betonung der Worte ist.

TIPP: Wenn Sie selbst nicht so ein unangenehmer Zeitgenosse werden oder sein möchten, dann beobachten Sie sich doch eine gewisse Zeit in Ihrem eigenen Verhalten. Was fällt Ihnen auf? Wie reagieren andere auf Sie? In welchen Situationen verhalten Sie sich vielleicht doch so (auch wenn Sie es nicht möchten)? Gibt es wiederkehrende Auslöser dafür? Wie fühlen Sie sich kurz bevor die Situation kippt? Die Antworten darauf können Ihnen so manchen Aha-Effekt bescheren.

 

3. Besserwisserei und Ausflüchte

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen berechtigten Kritikpunkt an Ihrer Partnerin, die gleichzeitig auch Ihre Geschäftspartnerin ist. Zum Beispiel weil sie etwas vergessen hat, dass Ihnen jetzt Probleme mit einem Kunden bereitet. Und ihre Antwort darauf ist „wenn Du … hättest, dann hätte ich auch rechtzeitig …“. Sofern sie nicht recht hat, fühlt sich das nicht gerade gut an, oder?

Was ist hier passiert? Sie hat sich aus der Verantwortung genommen und diese Ihnen zugeschoben.

Seien Sie jedoch vorsichtig, generell alle Erklärungsversuche mit einem Hinweis auf die Beziehungskiller abzuwürgen. Das, was hier passiert ist, ist ein erheblicher Unterschied zur rein faktischen Darstellung, die zur Klärung notwendig oder auch für künftige Fehlervermeidung wichtig ist.

Oder der Besserwisser: egal, was Sie sagen – Ihr Gegenüber setzt noch eins drauf und weiß es besser. Und ich meine hier nicht, dass jemand seine Meinung äußert. Sondern eher so reagiert, als ob es niemand anderen geben kann, der sich besser auskennt, mehr Erfahrung hat, bessere Kontakte hat oder ähnliches. Das kann sich schon mal wie ein Battle anfühlen.

Haben Sie noch Lust, gut zusammen zu arbeiten, wenn Ihr Gegenüber Ihnen letztlich damit klar machen will, wie dumm Sie sind? Oder, wenn die Beziehung eher privater Natur ist, sich zu öffnen? Wohl kaum.

TIPP: Anhand der Beispiele haben Sie schon eine Ahnung bekommen, wie belastend sich das auf eine Beziehung auswirken kann. Auch wenn es sich um eine geschäftliche Verbindung handelt. Haben Sie sich schon einmal ehrlich gefragt, warum Sie sich so verhalten? (Manchmal erfordert es eine Portion Mut, sich so lange ehrlich zu hinterfragen, bis der tatsächliche Kern zum Vorschein kommt. Vor allem wenn das Ergebnis etwas sein könnte, was nicht zu Ihrem Selbstbild passt.)

 

4. Rückzug, Mauern und Schweigen

Angenommen, Sie streiten sich mit Ihrem Sohn, der Ihr Unternehmen übernehmen soll. Und wenn es Ihnen zu viel wird oder Ihnen die Argumente ausgehen, verfallen Sie in Schweigen. Demonstrieren nach außen eine scheinbare Gleichgültigkeit oder Härte und Unnachgiebigkeit, wirken wie eine reglose Wand oder verlassen vielleicht sogar mit einem „Basta“ oder wortlos die Situation. Während Ihr Sohn aus lauter Hilflosigkeit entweder immer vehementer wird oder irgendwann verstummt, aufgibt oder sogar das Unternehmen verlässt.

Kann so ein charismatischer Unternehmenslenker heranwachsen? Oder das Unternehmen sicher in die Zukunft geführt werden? Wohl kaum.

Der ganze Bereich Rückzug, Mauern und Schweigen ist ziemlich umfangreich. Wenn Sie sich ein wenig damit beschäftigen, fällt Ihnen bestimmt eine eigene oder beobachtete Situation ein, in der der eine Beteiligte immer lauter wurde und der andere immer stummer. Das Ganze ist auch unter dem Begriff Minimierer-Maximierer-Prinzip bekannt. Bei genauem Hinsehen findet es sich in sehr vielen zwischenmenschlichen Beziehungen.

TIPP: Überlegen Sie sich, worum es Ihnen geht. Was wollen Sie wirklich? Und dann gehen Sie ein paar Schritte in den Schuhen des anderen. Versetzen Sie sich in seine Rolle. Was fällt Ihnen dann auf? Gibt es vielleicht sogar eine Lösung/eine Variante, die Ihnen beiden gerecht wird?

 

Zum besseren Verständnis

Keiner ist gefeit, sich nicht doch mal so wie beschrieben zu verhalten. Das ist nur menschlich. Wie überall gilt jedoch auch hier: die Dosis macht das Gift. Und das meine ich wörtlich. Die 4 Beziehungskiller vergiften Ihre Beziehungen, wenn diese zu häufig das Ruder übernehmen. 

Sie können sich jederzeit entscheiden, dass Sie sich so nicht verhalten wollen. Oder sich nicht mehr so behandeln lassen wollen.

Es kann jedoch sein, dass der Wunsch alleine noch nicht ausreicht.

Denn jedes automatisierte Verhalten – auch Ihre Reaktion – hat Ursachen. Ich meine damit nicht die Erklärungen, die sie sich logischerweise zurecht legen. Ich meine die Ursachen, die wirklich ursächlich verantwortlich sind. Die, die Sie nicht direkt auf dem Schirm haben. Dann könnten Sie mich anrufen und wir lösen das Problem gemeinsam.